Das Framework von Vipa

Bekannt und groß geworden ist Vipa als Hardware-Lieferant, der Komponenten und Systeme herstellt, die sich mit Step 7 von Siemens programmieren und konfigurieren lassen. Jetzt bringt das Unternehmen ein eigenes Automatisierungs-Framework auf den Markt.

Die bislang geltende Philosophie von Vipa ist schnell formuliert: Im Vordergrund eigener Innovationen stand die Kompatibilität zu Siemens-Systemen hinsichtlich Software und zum Teil auch der Bauform. Die ersten selbst entwickelten Lösungen waren Kompaktsysteme, ehe 2003 mit Speed7 eine völlig neue Technologie mit der damals schnellsten Hard-SPS der Branche auf den Markt kam. Das Produkt entwickelte sich schnell zu einer eigenen Steuerungsklasse, die einerseits zu den bestehenden Standards kompatibel war – andererseits durch die integrierte Speed7-Technologie einen eigenen Standard im Hinblick auf Geschwindigkeit, Schnittstellen und Speicher definierte.

Gleichzeitig wurde aber immer klarer, dass bei der Nutzung der bestehenden Softwaretools von Siemens die Möglichkeiten der Vipa-Hardware nur mit Einschränkungen oder nur sehr umständlich genutzt werden konnten:

  • So enthalten die Speed7-CPUs mehr Remanenz-Merker, zusätzliche Organisationsbausteine, integrierte Kommunikationsprozessoren und Pro­fi­net- beziehungsweise Ethercat-Master-Funktionalitäten, für die ein Konfigurationstool benötigt wird.
  • Die Verwendung des Speed-Busses, neben dem klassischen seriellen Rückwandbus, sorgt für eine schnelle Kommunikation zu Eingabe-/Ausgabe-Baugruppen und Kommunikationsprozessoren und ist in keinem anderen Fremdsystem vorhanden und somit dort nur umständlich zu konfigurieren.
  • Das neue I/O-System SLIO mit der Vernetzung über Profinet, Ethercat und Profibus erhält in Kürze leistungsfähige Speed7 CPUs, die einfach konfiguriert und programmiert werden müssen.


Es wurde also ein Engineering-Werkzeug nötig, mit dem sich diese Kom­ponenten einerseits zu einem System zusammenführen und andererseits die technischen Möglichkeiten der Vipa-Steuerungen ohne Umwege nutzen lassen.

Die Entwicklungsziele

Eine der Vorgaben für das Entwicklungsteam war, das jeweils Beste aus den bestehenden Softwarewelten, sprich Vipa, Simatic, IEC und IT, herauszufiltern und zu einem neuen Framework zusammenzufügen. Es ist letztlich ein Pflichtenheft mit folgenden Entwicklungsprämissen entstanden:

  • Der Programmierer als Anwender steht im Vordergrund.
  • Die Bedienoberfläche muss intuitiv, übersichtlich und modern gehalten sein und vorgefertigte Elemente aus einer Bibliothek beinhalten.
  • Die Bedienoberfläche muss den sofortigen Einstieg in die Konfiguration und Programmierung ermöglichen, ohne eine Software von Grund auf neu erlernen zu müssen.
  • Die Syntax der S7 Programmierung soll umgesetzt werden.
  • Die Editoren AWL, KOP, FUP und später SCL sollen Bestandteil des Framework sein.
  • Bestehender und geschriebener Code, zum Beispiel einer Step7 CPU, soll importiert und somit weiterverwendet werden können.
  • Editoren und Debug-Werkzeuge sollten das Auffinden und die Diagnose von Fehlern erleichtern, schon während der Programmierung und später auch bei der Inbetriebnahme.
  • Die Software soll skalierbar mit va­riablem Level ausgestattet sein, der sich an unterschiedliche Kenntnisse der Programmierer von Basic über Standard bis hin zu Andvanced anpassen lässt.


Was die Struktur betrifft, wurde Folgendes gefordert:

  • Durchgängigkeit: Einheitliches Engineering von der Hardwarekonfiguration über die Kommunikation und Programmierung bis hin zur Visualisierung.
  • Multiuserfähigkeit: Eine zentrale Datenhaltung sollte paralleles Arbeiten an einem Projekt ermöglichen.
  • Skalierbarkeit durch einfache Plug-In-Mechanismen.
  • Multilingualität: einfache Sprachumschaltung mitten im Programmierprozess.

Entstanden ist ein Engineering-Tool, das den gesamten Automatisierungsprozess durchgängig von der Hardwarekonfiguration über die Kommunikation und Programmierung bis hin zur Visualisierung abbildet. Intuitive Bedieneroberflächen erlauben den sofortigen Einstieg in die verschiedenen Module – zusätzliche Tools von Fremdanbietern für die Hardwarekonfiguration, für die Vernetzung der verschiedenen Feldbusse, für die Programmierung oder die Visualisierung und Bedienung der Anlagen werden damit überflüssig.

Zeitgemäße Technologien als Basis

Bei der Entwicklung des Engineering-Framework fanden neueste Technologien und Werkzeuge wie .Net 4.0 und vektorbasierte UI-Visualisierung mit Windows Presentation Foundation ihren Einsatz. Hardwarekonfiguration, Vernetzung, Programmierung und Visualisierung nutzen eine zentrale, SQL-Server-basierte Datenbank. Dadurch kann zum Beispiel bei der Erstellung der Visualisierung direkt auf Variablen der Steuerung zugegriffen werden, ohne dass dafür ein Daten­abgleich zwischen verschiedenen Tools erfolgen muss. Durch den Datenbank-Ansatz ist das Speed7 Studio schon jetzt für die Erstellung und Verwaltung von Multiuser-Projekten und eine Versionsverwaltung vorbereitet.

Alle genutzten Grafiken sind vektororientiert und werden beispielsweise für eine fotorealistische Darstellung der Baugruppen genutzt, die so verlustfrei gezoomt werden kann. Alle grafischen Nutzeroberflächen bieten die Möglichkeit der Mehrsprachigkeit – deshalb ist es im Speed7 Studio möglich, die Sprache der Oberflächen und Menüs auch während des Programmierens umzuschalten, um die Arbeit in einem internationalem Umfeld zu vereinfachen.

Durch die Nutzung von aktuellen Software-Architekturen ist es möglich, über Plug-In-Mechanismen den Funktionsumfang des Engineering-Tools bei Bedarf zu erweitern oder, falls nötig, auf neue Anforderungen zu reagieren.

Die Hardwarekonfiguration

Die Hardwarekonfiguration an sich wurde nicht neu erfunden. Es ist jetzt aber möglich, Vipa-Steuerungen, die etwa Speedbus-, Profibus-, Ethercat oder Profinet enthalten sowie alle Speed7-CPUs, Kommunikationsprozessoren oder SLIO-I/Os mit allen Vipa-spezifischen Parametern ohne Umwege zu konfigurieren, wobei automatisch die zugehörigen Variablen in der CPU erstellt werden.

Unterstützt werden die Anwender bei der Konfiguration der Hardware durch vordefinierte Gerätevorlagen, die sich per Drag&Drop an der entsprechenden Stelle einfügen lassen. Durch farbliche Markierungen behält der Anwender den Überblick (Bild 1).

Bei der Parametrierung der Baugruppen wird farblich gekennzeichnet, welche Werte nicht den Default-Werten entsprechen oder fehlerhaft sind; der Tool-Tipp liefert weitere Informationen zu Min-, Max- oder Default-Definitionen.

Da die Abbildungen auf vektororientierten Grafiken basieren, trägt die fotorealistische Darstellung der Baugruppen sehr zur Übersichtlichkeit bei – der Anwender sieht die Hardware vor sich, was ein sehr intuitives Arbeiten ermöglicht.

Die Vernetzung

Die Konfiguration der Vernetzungen über Profibus, Profinet und Ethercat mit dem Vipa-eigenen Tool setzt keine feldbusspezifischen Kenntnisse voraus. Vielmehr stellt das Speed7 Studio verschiedene Gerätevorlagen zur Verfügung, mit denen sich die Vernetzung grafisch konfigurieren lässt. Durch die Gerätevorlagen ist es möglich, schnell eine lauffähige Konfiguration vorzunehmen oder Änderungen umzusetzen.

Die Gerätevorlagen umfassen die Vipa 300S-CPUs, die SLIO Profibus- und Ethercat-Interface-Module, die Eco-Panels, die Professional-Panels sowie die analogen und digitalen 300S- und SLIO-I/Os (Bild 2).

Die Programmierung

Zur Programmierung lassen sich die Programmiersprachen AWL, FUP und KOP nutzen, die Realisierung von SCL ist in Arbeit.

Als Strukturierungshilfe in der textuellen Programmierung werden durch Syntax-Highlighting beispielsweise Kommentare, Befehle, Symbole oder Sprünge farblich unterschieden. Zusätzlich können Notizen im Code hinterlegt oder „Regions“ definiert werden, die eine übersichtlichere Darstellung des AWL ermöglichen.

In den grafischen Programmiersprachen werden unterschiedliche Farben für verschiedene Bausteingruppen genutzt, wodurch sich die funktionale Zuordnung vereinfacht.

Bereits während der Eingabe des Programm-Codes findet eine Syntax-Überprüfung „on the fly“ statt. Dadurch wird die Eingabe permanent überprüft und der Nutzer sofort auf mögliche Fehler hingewiesen. Zur Diagnose lassen sich im Baustein oder in Beobachtungstabellen die aktuellen Werte online ansehen. Auch eine Historie und eine Trendanzeige sind hier verfügbar (Bild 3).

Die Visualisierung

Mit dem Speed7 Studio haben Nutzer die Möglichkeit, eine webbasierte Visualisierung zu erstellen. Dazu steht ein SVG-Grafikeditor zur Verfügung, mit dem die einzelnen Seiten erstellt werden.

Vorgefertigte Elemente aus einer Bibliothek machen die Gestaltung besonders einfach. Die zentrale Datenhaltung im Engineering Tool erlaubt ebenso den Zugriff auf alle Variablen der Steuerung.

Der Zugriff auf eine erstellte Visualisierung kann nicht nur über ein herkömmliches Touchpanel erfolgen, sondern zusätzlich über alle browserfähigen mobilen Endgeräte wie Tablet-PCs oder Smartphones, benötigt wird lediglich ein Java-fähiger Webbrowser.

Verlustfrei zoombare SVG-Vektorgrafiken, vorkonfigurierte Dynamisierungen und Objekte, objektorientiertes Parametrieren und clientseitiges Scrip­ting sind weitere Eigenschaften, die das Tool aufweist (Bild 4).

Die Zielgruppe

Zum einen zählen die Anwender zur Zielgruppe, welche Vipa-Hardware komplett nutzen und sich dabei in der gewohnten S7-Welt wiederfinden wollen.

Aber auch der typische Simatic-Anwender, der schon jetzt in Mischkonfigurationen Vipa und Siemens verwendet, soll durch das Framework angesprochen werden, weil sich für ihn der „Misch­betrieb“ vereinfacht. Deshalb ist auch geplant, zukünftig ausgesuchte Siemenskomponenten mit in den Hardwarekatalog aufzunehmen.

Die dritte Zielgruppe stellen Vipas Hardware-Brandlabel-Partner dar, die das Tool komplett in ihrem eigenen Design verwenden können und durch die modulare Gestaltung und die Skalierbarkeit ein auf ihre verwendete Hardware zugeschnittenes Programmier- und Konfigurationstool an die Hand bekommen.

Der Ausblick

Mit Speed7 Studio stellt Vipa ein En­gineering-Tool vor, das den gesamten Automatisierungsprozess durchgängig von der Hardwarekonfiguration über die Kommunikation und Programmierung bis hin zur Visualisierung abbildet. Dabei ist das Framework nicht dafür gedacht, ein TIA-Portal von Siemens abzubilden oder zu ersetzen, sondern um als kleines und schnelles Tool Vipa-Steuerungen und -Komponenten optimal einzusetzen, unter Beibehaltung der gewohnten S7-Syntax.

Das Framework bildet den „Software Backbone“ für zukünftige Vipa-Entwicklungen. Die geplanten Portfolio-Erweiterungen in Richtung Safety Control und Motion können somit hinsichtlich Programmierung und Konfiguration effektiv unterstützt werden.

Gerade die Applikationsebene des Kunden soll zukünftig stärker unterstützt werden. Durch konfektionierte Applikationsmodule wird der Anwender in die Lage versetzt, für seine Anlage oder Applika­tion Module zu entwickeln, mit denen er dann durch Plug&Play seine Maschine oder Anlage komplett konfiguriert. Auch Vipa wird zukünftig für verschiedene Applikationen und Lösungen Templates und Technologie-Bibliotheken vorgefertigt anbieten, die der Kunde dann direkt in sein Projekt ziehen kann, inklusive Konfiguration und Programmierung.

Autoren: Nils Gotha ist Mitarbeiter im Team Speed7 Studio in der Vipa Software-Entwicklung und Norbert Schlimm ist Mitarbeiter im Marketing bei Vipa.

Veröffentlichung auf www.computer-automation.de vom 14. November 2012