Exakte Regelung im chemischen Reaktor

Industriepark Wolfgang bereitet industrielle Abwässer selbst auf - Anspruchsvolle pH-Wert-Regelung

Wasser ist die wertvollste Ressource unserer Erde - und gleichzeitig ein knappes Gut. Daher kommt nicht nur der Wassereinsparung, sondern auch der Aufbereitung und Regenerierung von Wasser und Abwasser heutzutage ein hoher Stellenwert zu. Die Anforderungen, die bei der Wasseraufbereitung an die Regelsysteme gestellt werden, steigen stetig. So dürfen beispielsweise Säuren und Basen im Abwasser exakt festgelegte Grenzwerte nicht überschreiten. Ventile und Pumpen, mit denen diese Chemikalien zugeführt werden, müssen entsprechend überwacht und geregelt werden. Die GMC-I Messtechnik GmbH mit Sitz in Nürnberg hat im Industriepark Wolfgang in Hanau unter Beweis gestellt, dass sie auch eine solch anspruchsvolle und individuelle Regelaufgabe meistert.

Wasser ist ein kostbares Gut

Die Erde wird nicht umsonst als blauer Planet bezeichnet: 71 Prozent der Erdoberfläche sind von Wasser bedeckt. Das bedeutet freilich nicht, dass es Wasser im Überfluss gibt. 97,5 Prozent der weltweiten Wasservorkommen befinden sich als Salzwasser in den Meeren und sind nicht unmittelbar als Trinkwasser oder landwirtschaftlich nutzbar. Von den verbleibenden 2,5 Prozent Süßwasser sind rund 70 Prozent in den Eisschichten von Nord- und Südpol
und in Gletschern gebunden.

Der Wasserverbrauch vor allem in den Industrieländern ist enorm: Der tägliche Pro-Kopf-Verbrauch in der Europäischen Union liegt bei knapp 150 Litern. Allein beim Duschen werden zirka 40 Liter Wasser verbraucht. Experten haben errechnet, dass für die Produktion von einem Kilo Schweinefleisch mehr als 5.000 Liter Wasser benötigt werden, bei der Produktion eines Autos sollen bis zu 400.000 Liter Wasser anfallen.

Wasser ist nicht nur eine knappe Ressource, es ist überdies geografisch und saisonal extrem ungleich verteilt. Nach Angaben der Vereinten Nationen haben rund 20 Prozent aller Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, rund 40 Prozent der Weltbevölkerung leiden an Wasserknappheit. Dem verantwortungsbewussten Umgang mit dem "Lebensmittel
Nr.1" kommt daher ein hoher Stellenwert zu. Neben Einsparungen beim Verbrauch gehört dazu vor allem der Schutz des Wassers vor gefährlichen Verunreinigungen.

Strenge Abwassergesetze und -satzungen

Für moderne Unternehmen ist ein professionelles Umwelt- und damit auch Wassermanagement heutzutage unerlässlich. Es bietet die Chance, Wettbewerbsvorteile zu nutzen und trägt zur Zukunftssicherung bei. Die Verpflichtung gegenüber den Lebensgrundlagen Luft, Wasser und Boden ist dabei eine Selbstverständlichkeit. Strenge Vorgaben werden auch von
der Politik gemacht: Das Umweltbundesamt sieht in einer gesicherten und funktionierenden Wasserver- und Abwasserentsorgung die Grundvoraussetzung für eine umweltgerechte wirtschaftliche Entwicklung. Jedes Bundesland, jeder Landkreis und jede Stadt hat eigene Abwassergesetze oder -satzungen. Darin sind Regelungen zum Beispiel für den Schutz der
Kanalisation oder Einleitungsbedingungen für Klärwerke vorgegeben.

Auch die Abwassersatzung der Stadt Hanau, die für den Industriepark Wolfgang relevant ist, sieht für das Einleiten nichthäuslicher Abwässer bestimmte Einleitungsgrenzwerte vor. Zu  den physikalischen Parametern gehören eine Maximaltemperatur von 35 Grad Celsius, ein pH-Wert zwischen 6,5 und 10 sowie ein Wert von maximal einem Millimeter absetzbare Stoffe auf einen Liter Wasser. Auch für organische Stoffe und Lösungsmittel sowie gelöste anor-
ganische Stoffe wie Ammonium, Nitrit, Nitrat, Cyanide und Sulfate gibt es Maximalwerte.
Abwasser, das über den Grenzwerten liegt und nicht eingeleitet werden darf, ist aufzufangen und "in gesetzlich zugelassener Art und Weise zu entsorgen".

Regelmodul 355A
Die Standardversion der systemkompatiblen Regelmodule R355 zeichnet sich durch eine hohe Funktionalität aus. Dazu zählen unter anderem der integrierte Datenlogger, die Alarm-Historie mit Zeitstempel, die Leistungsbegrenzung und die Verrechnung mehrerer Messeingänge zur Ermittlung einer Regelgröße. Eine Adaption der Regelparameter ist für jeden Kanal zu jedem Zeitpunkt startbar. Eine Verwendung als Grenzsignalgeber sowie eine Kaskaden-, Differenz-, Verhältnis-, pH-Wert- und Umschaltregelung gehören ebenfalls zu den Leistungsmerkmalen. Die Regelein gänge sowie die der Ausgänge sind frei konfigurierbar.
Der R355 verfügt außerdem über eine Heißkanalregelung mit Anfahr- und Boost-Schaltung sowie Gruppenbildung für Regelzonen zum synchronen Heizen. Auch zahlreiche Überwachungsfunktionen, wie zum Beispiel kanal- und gerätespezifische Alarme oder rücklesbare Ausgänge, sind Bestandteil. Eine einfache und schnelle Inbetriebnahme ist durch Daten-, Funktions- und Organisationsbausteine garantiert.

Aufbereitung im Industriepark Wolfgang

Im Industriepark Wolfgang, in dem zehn Industrieunternehmen angesiedelt sind, werden industrielle Abwässer aufbereitet, um sie dann in das städtische Abwassernetz von Hanau einleiten zu können. Die Aufbereitung am Standort setzt voraus, dass kompetente Mitarbeiter, die über das notwendige Know-how verfügen und mit den Vorschriften und Höchstgrenzen bestens vertraut sind, den Aufbereitungsprozess ständig den Erfordernissen entsprechend anpassen, überwachen und dokumentieren.

Im Industriepark fließen sämtliche industrielle Abwässer zunächst in einem Sammelbecken zusammen. Von dort gelangen sie in zwei chemische Reaktoren, so genannte Dosierstationen, die jeweils ein Volumen von zwei Kubikmetern  haben. Chemische Reaktoren sind der Teil einer Anlage, in dem chemische Prozesse ablaufen, wie etwa die Dosierung von Laugen und Säuren, und in dem chemische Umsetzungen durchgeführt werden.  Chemische Reaktoren findet man in zwei wesentlichen Ausformungen: dem Rührkessel und dem Strömungsrohr, bei dem es sich um einen Durchflussreaktor handelt. Dessen Besonderheit ist der interne Aufbau der Leitbleche zur Verwirbelung der
einströmenden Flüssigkeiten. Nach der Aufarbeitung gelangt das Abwasser aus den chemischen Reaktoren in ein Klärbecken, dessen Überlauf in den städtischen Abwasserkanal der Stadt Hanau mündet.

In Anbetracht des gestiegenen Aufwands bei der Regenerierung und Aufbereitung für Wasser und Abwasser werden auch im Industriepark Wolfgang immer höhere Ansprüche an ein vielfältiges und hochwertiges Regelsystem gestellt. Dabei werden bereits an verschiedenen Stellen Systemregler der Marke Gossen-Metrawatt eingesetzt. Aktuelle Aufgabe war es nun, ein Regelmodul für die exakte und zuverlässige pH-Regelung der Abwässer zu entwickeln
und in die S7-400 Steuerung der Firma Siemens zu integrieren. Des Weiteren erfolgte eine Anpassung der vorhandenen Oberfläche im PCS 7. Ziel der Regelung ist es, bei den industriellen Abwässern unter Zusatz von Salzsäure (HCl) und Natronlauge (NaOH) einen pH-Wert von 9,6 zu erreichen, um sie somit in den städtischen Abwasserkanal geben zu können.

Komplizierte pH-Regelung

Der pH-Wert ist ein Maß für die Stärke der sauren beziehungsweise basischen Wirkung einer wässrigen Lösung. Der Begriff leitet sich vom lateinischen pondus Hydrogenii ab: pondus bedeutet Gewicht,  hydrogenium Wasserstoff. Der pH-Wert ist eine der wichtigsten chemischen Größen. Seine Bestimmung und Regelung ist in vielen industriellen Anwendungen, in der Wasseraufbereitung und bei der Qualitätskontrolle von Flüssigkeiten Standard. Durch die Konzentration von Säuren und Basen kann der gewünschte pH-Wert einer Flüssigkeit exakt eingestellt werden. Soll eine Flüssigkeit neutralisiert werden, werden an die Zuverlässigkeit und Genauigkeit der Regelung besonders hohe Anforderungen gestellt.

Die größte Herausforderung bei der pH-Wert-Regelung stellen der ungewöhnlich große Messbereich, der 14 Zehnerpotenzen umfasst, und die lange "Totzeit" dar. Das bedeutet konkret für den Industriepark Wolfgang: Da die Konzentration von Säuren und Basen in einer
Lösung deren pH-Wert bestimmt, werden dem Abwasser in den chemischen Reaktoren Säuren oder Basen zugegeben, um das Abwasser auf diesem Weg zu neutralisieren beziehungsweise einen ph-Wert von 9,6 zu erreichen. Auf die Änderung der Mischung reagiert der pH-Wert zunächst kaum. Dieser Zeitraum von zirka zehn Sekunden, in dem der Regler keinen Ansatzpunkt hat, um den Prozess zu regeln, wird auch als Totzeit bezeichnet. Die Kurve, mit der sich dieser Prozess darstellen lässt und die nicht linear verläuft, heißt Titrationsoder Neutralisationskurve. An ihr lässt sich auch ablesen, dass der pH-Wert in der Nähe des Neutralpunktes, also im pH-Bereich um 7 , am empfindlichsten auf Änderungen der Mischung reagiert. In diesem kurzen Reaktionszeitraum muss der Regler greifen. Der Übergang aus dem sauren in den alkalischen Bereich erfolgt also nicht allmählich, sondern in der Form eines "pH-Sprungs". Eine stabile pH-Wert-Regelung ist hauptsächlich von der Größe, Ausführung und Anzahl der Dosierstationen (chemische Reaktoren), den Zuführsystemen (Zustrom und Menge des Durchflusses) sowie der Position der pH-Sonden (Messfühler) abhängig.

Aufbau und Inbetriebnahme des Reglers

Um diese anspruchsvolle Regelaufgabe zu erfüllen, setzte man im Industriepark Wolfgang auf einen Temperaturregler der Marke Gossen Metrawatt. Im Bereich der Hardware erfolgte eine dezentrale Montage der 4-Kanal-Regelbaugruppe R355A und des Profibus-Slave VIPA
IM353-1DP01 im Schaltschrank. Beide wurden über einen Profibus-DP direkt an die Siemens-Steuerung S7-400 angebunden.

Im Bereich der Software wurden die Hantierungsbausteine ins Projekt eingebunden und verknüpft. Die Werte der Messeingänge der pH-Sonden werden direkt als skalierter Wert von 0…14.000 in die Datenbausteine als externer Istwert geschrieben. Dieser Wert entspricht einem pH-Wert von 0…14. Die analoge Ansteuerung der Ventile für die Natronlauge und die
Salzsäure erfolgt als Stellgradausgabe über die Steuerung in Abhängigkeit der aktuellen Ist-Werte direkt aus den Kanal-Datenbausteinen.

Für die Konfiguration und Parametrierung des Regelmoduls gibt es drei Möglichkeiten: Mit dem Inbetriebnahme-, Ferndiagnose- und Fernwartungstool 355Remote besteht der direkte Zugriff über die Schnittstelle der CPU. Mit dem Konfigurationstool 355Config kann die RS232-Schnittstelle am Regler genutzt werden. Darüber hinaus besteht der Weg über die Kommunikation mittels "Read/Write" direkt in die Datenbausteine.

Michael Roick ist Produktmanager Regler und Reglersysteme bei GMC-I Messtechnik in Nürnberg.