VIPA SLIO®: µs- genaue I/Os über Feldbus

Das neue I/O-System SLIO der VIPA GmbH aus Herzogenaurach ist eine vollständige Neuentwicklung. Mit dem modularen und kompakten System können künftig Automatisierungslösungen einfacher und vor allem schneller umgesetzt werden. SLIO ermöglicht µs-genaues Messen und Steuern für alle unterstützten Feldbussysteme.

Mechanik

Das VIPA I/O-System SLIO vereint hohe Funktionalität mit einem cleveren Mechanikkonzept in einer äußerst kompakten Bauform. SLIO steht für Slice-I/O. Das System ist sehr kompakt und wird "scheibchenweise" genau auf die Anforderungen der Anwendung angepasst. Alle Interface-Module (IM) für PROFIBUS-DP, CANopen, PROFINET, EtherCAT und Modbus unterstützen bis zu 64 Module (Scheiben) und verfügen über ein integriertes Power-Modul. Durch die farblich abgesetzten Power-Module (PM) werden die Elektronik-Module (EM) mit Lastspannung versorgt und je nach Bedarf in getrennte Potentialgruppen eingeteilt. Die Elektronik-Module sind mit den Terminal-Modulen (TM) über einen verstecksicheren Schiebemechanismus verbunden. Das Terminal-Modul vereint Klemme, Aufnahme für die Elektronik-Module und mechanischen Busverbinder. Die treppenförmig angeordneten Klemmen in Federzug-Technik ermöglichen die schnelle, übersichtliche und sichere Verdrahtung. Im Servicefall wird somit nur das Elektronik-Modul durch einfaches Herausziehen aus dem Terminal-Modul getauscht - Verdrahtungen und Montage auf der 35mm Normschiene bleiben unberührt bestehen. Dies vereinfacht und beschleunigt nicht nur den Modulaustausch, sondern schließt auch potentielle Fehler durch An- und Abklemmen der I/O-Verdrahtung aus. Durch die integrierten Status-LEDs und den Beschriftungsstreifen auf der Front ist eine kanalgenaue eindeutige Zuordnung und Ablesbarkeit der Kanalzustände des Elektronik-Moduls sichergestellt. Die kontinuierliche Anzeige des Baugruppenzustandes ermöglicht zudem eine exakte Fehlerlokalisierung, d.h. fehlerhafte Konfigurationen, Busunterbrechungen, Verkabelungsfehler und defekte Baugruppen werden per LED signalisiert und können ohne Diagnosetools ermittelt werden.

Rückwandbus

Der 48 MBit/s schnelle Rückwandbus wurde vor allem mit Blick auf maximale Zuverlässigkeit bei gleichzeitig effizienter Datenübertragung entwickelt:

  • Alle Zugriffe werden überwacht
    => Modulausfall wird sofort erkannt
  • Differentielle stromgetriebene LVDS Kommunikation
    => unempfindlich gegen Störungen
  • Watchdog-Funktion in jeder Scheibe
    => Überwachung des Interface-Moduls und des Feldbusmasters
  • Prüfsummen und Diagnose Zähler in jeder Scheibe ermöglichen genaue Fehlerlokalisierung
    => Aufbaufehler können schnell lokalisiert werden
  • Flexible Telegrammformate und Übertragungsmechanismen
    => optimale Anpassung der Datenübertragung an den jeweiligen Systemaufbau
    Zusätzlich zu diesen Basisfunktionen stellt der SLIO Rückwandbus weitere Features zur Verfügung, die Performance-Limitierungen bestehender Feldbussysteme weitgehend aufheben. Damit erschließt das dezentral eingesetzte SLIO System auch zeitkritische Anwendungsgebiete, die bislang ausschließlich leistungsstarken, zentralen Steuerungsaufbauten oder aufwändigen Speziallösungen vorbehalten waren.

Messen und Steuern im µs-Bereich

Zeitliche Anforderungen beim Einsatz dezentraler Peripherie können vereinfacht auf zwei maßgebliche Faktoren zurückgeführt werden:

  • Reaktionszeit
    Wie lange dauert es maximal, bis ein Ausgang auf einen wechselnden Eingang reagiert?
  • Zeitliche Genauigkeit/ Determinismus
    Mit welcher zeitlichen Genauigkeit kann das Auftreten eines Ereignisses detektiert werden bzw. wie genau lässt sich ein Ausgang schalten?

 

Die einfachste Methode, um in beiden Bereichen Verbesserungen zu erzielen, ist eine Reduzierung des Updateintervalls wie es z.B. beim Umstieg von Profibus (min. 600 µs) auf Profinet IRT (min. 250 µs) möglich ist.

Für einige Anwendungen ist diese Verbesserung aber nicht ausreichend, dort wäre speziell eine deutlich bessere zeitliche Genauigkeit wünschenswert und schließt damit den Einsatz preisgünstiger dezentraler Peripherie bislang aus.

An diesem Punkt setzt die µs-Zeitstempel-Funktion im SLIO-System an.

Die VIPA GmbH hat bereits im Jahr 2005 für zentrale Steuerungssysteme ein Eingangsmodul für Step®7 -kompatible CPUs auf den Markt gebracht, das die Zeitmessung von Signalzustandsübergängen mit einer Auflösung von 1 µs bei 16 Kanälen ermöglicht. Im darauffolgenden Jahr entstand eine 8-fach analoge Eingangskarte mit Datenaufzeichnung im 25 µs Raster mit µs-Zeitstempel.

Diese Funktionen stehen jetzt auch in einem dezentralen System zur Verfügung und wurden noch deutlich erweitert: Zusammen  mit der Einführung des dezentralen SLIO Systems stehen digitale Ein- und Ausgangsmodule mit Auftragsspeichern (FIFO) für die Zwischenspeicherung von Signalflanken zur Verfügung. Diese Klemmen werden mit der Abkürzung ETS (Edge Timestamp System) gekennzeichnet.

SLIO ETS bietet eine deutlich verbesserte zeitliche Genauigkeit im µs-Bereich für alle unterstützten Feldbussysteme.

Gleiche Zeit für Alle:
An einem SLIO-Interface-Modul haben alle SLIO Scheiben die gleiche Zeitbasis. Diese Zeitbasis hat eine Auflösung von 1 µs und einen Gleichlauf von Scheibe zu Scheibe von ± 85 ns.
Für Profibus DP-V2 (Isochronmode) ist es bereits möglich, die Zeitbasen mehrerer SLIO-Interface-Module und der jeweils angeschlossenen Scheiben mit einem Gleichlauf von ± 5 µs zu synchronisieren. Der zugrundeliegende Synchronisationsmechanismus ist feldbusunabhängig und wird zukünftig auch für andere Bussysteme zur Verfügung stehen.

Beispiel: Dieseleinspritzsystem

Zur Erläuterung der Funktionsweise und den vielfältigen Einsatzmöglichkeiten dient folgendes Beispiel einer elektronischen Steuerung der Diesel-Zusatzeinspritzung zur Verbrennungsoptimierung eines Biogas Dieselgenerators. Durch die Möglichkeit des SLIO ETS, µs- genau zu messen und zu steuern, kann man jetzt auch ohne Mikrocontroller oder  andere Speziallösungen die im Automobilbereich standardmäßigen Verfahren der hochgenauen Diesel Vor-, Haupt- und Nacheinspritzung zur Emissions- und Wirkungsgradoptimierung mit dem Komfort und der Flexibilität einer SPS verbinden.

Eine stark vereinfachte Darstellung soll die auszuführende Steuerungsaufgabe verdeutlichen: Die Kurbelwelle (1) dreht sich in diesem Beispiel mit 1500 U/min. Da es sich um einen Viertaktmotor handelt, findet der Verbrennungsvorgang nur 750 mal pro Minute statt. Die Nockenwellen (2) und (3) zur Steuerung der Ein- und Auslassventile drehen deshalb auch nur mit 750 U/min. An einer Nockenwelle befindet sich ein HAL-Sensor, der bei jeder Umdrehung dieser Nockenwelle einen Impuls abgibt. Dieses Signal dient als Referenz für den Einspritzvorgang und ist an eine SLIO ETS Eingangsklemme angeschlossen. Die Einspritzdüse (4) für den Dieselkraftstoff wird elektronisch mit einer SLIO ETS Ausgangsklemme angesteuert. Der Sensor an der Nockenwelle kann so positioniert werden, dass der zeitliche Abstand zwischen dem Nockenwellensignal und dem Einspritzzeitpunkt im Bereich von einigen 10 ms liegt.

Realisierung mit normalen I/O Klemmen über Feldbus

Müsste man diese Aufgabe mit normalen, dezentralen I/O Klemmen lösen, wäre es erforderlich, die Zeitmessung für das Eingangssignal in der CPU durchzuführen. Hieraus ergibt sich eine Vielzahl von Ungenauigkeiten, die zu einem signifikanten Gesamtfehler führen: Exemplarisch wird hier nur auf die größte Fehlerquelle eingegangen.
Es wird angenommen, dass das Anwenderprogramm auf der CPU mit ausreichender Genauigkeit die Zeit messen kann (z.B. Speed7 CPU mit 1 µs zeitlicher Auflösung).
Die CPU überwacht, ob das Eingangs-(Nockenwellen-)ereignis eingetreten ist und merkt sich die Zeit. Wenn der Zeitpunkt zum Schalten des Ausgangs gekommen ist, übergibt die CPU die Anweisung über den Feldbusmaster an das Interface-Modul und von dort an die Klemme.
Der grüne Teil in Abbildung 5 macht deutlich, dass es aus Sicht der CPU nicht möglich ist, Signalwechsel innerhalb eines Feldbuszyklus voneinander zu unterscheiden oder zeitlich genauer als das durch den Feldbus vorgegebene Zeitraster einzuordnen. Es entsteht ein Unschärfebereich mit der Breite von mindestens einer Feldbuszykluszeit.

Picture 5: Standard decentralized I/O (green): No exact determination of in- and output signal possible Decentralized SLIO ETS (violet):	µs time stamp with order list for in- and outputs

Abbildung 5:  
Normale dezentrale I/O (Grün):     Keine genaue Bestimmung des Ein- und Ausgangssignals möglich
Dezentrales SLIO ETS   (Violett):    µs-Zeitstempel mit Auftragsliste für Ein- und Ausgänge

Bei einem Profibus System mit 600µs Zykluszeit (Best Case) ergibt sich damit ein Fehler in der Bestimmung der Kurbelwellenposition (mit Hilfe des Nockenwellensensors) von bis zu 5,4 Grad (1500 U/min entspricht einer Zeit von 40 ms pro Umdrehung und einer Winkelgeschwindigkeit von 9 Grad pro ms, d.h. in 600 µs werden 5,4 Grad zurückgelegt). Bei der Ansteuerung des Ausgangs würden noch weitere Ungenauigkeiten hinzu kommen. Mit Profinet IRT und 250µs Zyklus würde sich der Fehler auf immer noch 2,25 Grad reduzieren.

Aufgrund der nicht tolerierbaren Fehler kommen diese Lösungen nicht in Frage. In den meisten derartigen Anwendungsfällen wurden bisher spezielle Nockensteuerwerke eingesetzt. Eine solche Lösung ist aber kostenintensiv und ist für spätere Anpassungen und Optimierungen zu unflexibel und schlecht skalierbar.

Realisierung mit SLIO ETS Klemmen über Feldbus

Wenn die I/O Klemmen selbst in der Lage sind, die Zeit der Signalflanken zu messen bzw. das Schalten der Ausgänge bis zum Erreichen eines durch die CPU definierten Zeitpunktes zu verzögern, fallen alle durch den Feldbus- und CPU-Zyklus bedingten Fehlerquellen für die zeitliche Genauigkeit weg! Der violette Teil in Abbildung 5 macht die immense Verbesserung der zeitlichen Präzision eines solchen Systems gegenüber I/O Klemmen ohne µs-ETS-Zeitstempel (grün) deutlich.

Sobald die SLIO ETS Eingangsklemme das Nockenwellenereignis detektiert, speichert sie zusätzlich zum aktuellen Zustand der Eingänge auch die Zeit in einen FIFO-Speicher. Diese Daten werden dann über den Feldbus an die CPU weitergegeben. Dort kann das aufgetretene Ereignis jetzt unabhängig vom Feldbus- oder CPU-Zyklus anhand des Zeitstempels genau eingeordnet werden.

Da die Zeiten aller SLIO Scheiben an einem Interface-Modul auf ± 85 ns gleich laufen, kann die CPU die Schaltzeiten für die SLIO ETS Ausgänge (Einspritzdüse) auf 1 µs genau berechnen und über den Feldbus weitergeben. Wird der Schaltzeitpunkt in der Klemme erreicht, werden die Ausgänge entsprechend angesteuert und der resultierende Fehler entspricht nur 0,009 Grad.

Innerhalb eines Feldbuszyklus können bis zu 15 Schaltaufträge an eine SLIO ETS Scheibe versendet werden. Somit kann ein Ausgang mehrmals innerhalb eines Zyklus angesteuert werden. Die SLIO ETS Eingangsscheiben verfügen auch über einen 15 Einträge großen  FIFO Speicher.

Durch Einsatz von SLIO ETS Scheiben z.B. in einem Profibus-System kann der Messfehler auf 1/600 reduziert werden! Die Zeiten zwischen mehreren SLIO Interface-Modulen können im DPV2 Äquidistanzbetrieb (Isochron)  auf genauer ± 5 µs synchronisiert werden. Damit kann auch in größeren, dezentral aufgebauten Anlagen in µs-Auflösung gemessen und gesteuert werden. 

Beispiel: Papier schneiden

Als Beispiel für den Einsatz von gleichen Zeitbasen mit mehreren Interface-Modulen soll eine stark vereinfachte Papierschneideanlage dienen:

Picture 6: Same time for two different Profibus interface modules

 

Abbildung 6: Gleiche Zeit für zwei verschiedene Profibus-Interface-Module

Der Detektor zur Erkennung der Marke und der Inkrementalgeber hängen beide je an einem Profibus-IM. Der SLIO Zähler für den Inkrementalgeber stellt einen mitlaufenden µs-Zeitwert zur Verfügung mit dessen Hilfe die Bestimmung der Bandgeschwindigkeit einfach möglich ist. Die digitale SLIO ETS Eingangsscheibe fügt den Signalwechseln des Markenlesers einen µs-genauen Zeitstempel hinzu. Da das zweite IM über die gleiche Zeitbasis (max. ± 5 µs) wie das erste IM verfügt, kann die CPU den "Cutter" über eine digitale SLIO ETS Ausgangsklemme sehr genau steuern:

Bei fünf Metern pro Sekunde würden sich mindestens folgende Genauigkeiten ergeben (stark vereinfachte Rechnung!):

Normale Profibus Klemmen:     600 µs:      3,000 mm
Normale Profinet IRT Klemme:     250 µs:    1,250 mm
SLIO ETS Profibus Klemmen:    ± 5 µs:    0,050 mmWeitere Funktionen

Die Zeitstempelfunktion steht auch für die SLIO Zähler- und SSI-Scheiben zur Verfügung, um beispielsweise auf einfache Weise genaue Geschwindigkeitsmessungen durchzuführen.
Daneben wird es schnelle analoge Ein- und Ausgänge mit Zeitstempel- und Speicherfunktion geben.
Als Anwendungsbeispiel hierfür sei ein Dieselgenerator genannt, dessen Strom in das Netz synchron eingespeist werden soll. Die hierfür erforderliche präzise Synchronisation und Regelung  auf die Netzspannung ist mit analogen SLIO ETS Eingangsklemmen möglich.
Alle SLIO ETS-Scheiben können für den jeweiligen Einsatzzweck zusammen mit Standard-SLIO Scheiben kombiniert werden.

Fazit:
 Mit dem SLIO System bietet die VIPA GmbH

  • I/O-System mit einem anwenderorientierten Beschriftungs- und Mechanikkonzept
  • Übersichtliche Status- und Diagnoseanzeigen
  • Platz- und zeitsparende Anschlusstechnik
  • Zuverlässiger und schneller Rückwandbus
  • Durch den Einsatz der Zeitstempelfunktion zum µs-genauen Messen und Steuern erschließen sich für Speicherprogrammierbare Steuerungen und viele Feldbussysteme, deren Vorteil die einfache Programmierung, Flexibilität und Wartbarkeit ist, Anwendungsbereiche, die bislang Speziallösungen vorbehalten waren.

Autor: Steffen Schleier, profichip GmbH