„Wir wollen das Spektrum der Automatisierung öffnen“

Zum 1. April 2015 übernahm Bobbie Linkenbach die operative Führung bei VIPA, einem Hersteller von Steuerungssystemen. A&D befragte ihn nach den ersten 100 Tagen, vor welchen Herausforderungen er steht und wie das Unternehmen künftig ausgerichtet ist.

A&D: Seit der Stabübergabe sind drei Monate vergangen. Was sind die wichtigsten Dinge, die Sie angepackt haben?

Linkenbach: Wir arbeiten  derzeit  an zwei Change-Prozessen. Durch die Produkte von YASKAWA, die wir zur Verfügung haben, ändert sich unsere Marktpositionierung vom reinen Komponentenhersteller hin zum Systemlieferanten. Früher waren wir hauptsächlich im Schaltschrank, jetzt gehen wir aus dem Schaltschrank heraus an die Maschine und versuchen, die Maschine für und mit dem Kunden gemeinsam zu verbessern. Das heißt, wir sprechen die Kunden nicht mehr rein auf Komponentenebene an, sondern auf der Ebene der Applikationen. Für den Vertrieb bedeutet das, nicht mehr nur die Siemens-Kompatibilität als Argument für den Einsatz von VIPA Komponenten zu nutzen, sondern den Systemgedanken in den Vordergrund zu stellen, inklusive Support, bis hin zur Unterstützung bei der Erstanwendung. 

Was ist die zweite Veränderung?

Siemens hat  mit einem neuen Software-Portal und den dazugehörigen neuen Hardware-Systemen einen Technik-Wandel ausgelöst, der auch unsere Strategie auf Steuerungen verändert hat. Neben dem reinen Siemens Anwender wollen wir zukünftig zusätzlich neue Kundengruppen und Marktsegmente erreichen.  Dafür entwickeln wir neue Produkte, die software-kompatibel bleiben werden, wie auch mit unserer eigenen Software SPEED7 Studio programmierbar sind. Wir können somit neue Angebote machen mit Hybrid- und reinen VIPA-Lösungen. Unser Kundenportfolio wird sich somit signifikant erweitern.

Wie sieht das Portfolio dann künftig aus?

Die bisherigen sehr erfolgreichen Systeme bleiben erhalten und entwickeln sich weiter, und das noch viele Jahre, denn dafür gibt es weiterhin einen hohen Kundenbedarf. Mit SLIO haben wir bereits angefangen, ein eigenes SPS-System zu entwickeln, das nicht mehr hardwarekompatibel zu Siemens ist. Für den unteren Bereich entwickeln wir eine Micro-SPS mit eigenem Formfaktor. Für den oberen Bereich werden wir ebenfalls eigenständige Systeme bringen. Die Software-Kompatibilität  bleibt gewahrt, aber zusätzlich kann der Kunde  Speed7-Studio einsetzen, mit dem wir deutlich mehr Funktionen abbilden können. So integrieren wir gerade software- und hardwareseitig das Thema Motion Control und unterstützen als Master neben PROFIBUS und PROFINET zusätzlich EtherCAT.

Was bedeutet das für den OEM?

Kunden, die die Software-Kompatibilität aufrechterhalten wollen, können dies weiterhin tun, auf einer Hardware von uns. Power-Usern oder System-Usern, die komplett auf VIPA und YASKAWA umsteigen wollen, bieten wir mit unserem Speed7-Studio eine komplette Plattform für ihre Anforderungen. YASKAWA Im Hardware-Katalog sind sämtliche Umrichter und Servos von YASKAWA integriert. Wir arbeiten darauf hin, dem Kunden eine Komplettlösung mit exakt aufeinander abgestimmten Komponenten anzubieten, die es ihm ermöglicht, seine Maschinen und Anlagen bis hin zur Robotik aus einer Hand zu programmieren, zu konfigurieren und zu parametrieren. Des Weiteren wollen wir mit vorgefertigten Bausteinen, Bibliotheken und Templates den Einsatz von VIPA und YASKAWA Produkten stark vereinfachen, das spart dem Kunden Programmieraufwand und Engineering-Zeiten. Das wollen wir bis Ende 2018 erreichen.

Das heißt, die Kunden müssen sich nicht knallhart zwischen Siemens- und VIPA-Technik entscheiden?

Genau! Das ist der große Unterschied zu anderen Marktbegleitern, bei denen der Kunde wirklich eine Schwarz-Weiß-Entscheidung treffen muss. Bei uns können Anwender weiterhin ihre bisherige Software nutzen, wahlweise aber auch das Speed7-Studio. Nach unserer Erfahrung gibt es viele Kunden, die beides einsetzen wollen, um nicht von einem Lieferanten abhängig zu sein. Hier positionieren wir uns als Zweitlieferant, der in seinen Systemen relativ ähnlich ist, auch im Look & Feel der Software. Siemens-Programme, die mit Step7 von Siemens geschrieben wurden, können importiert und im SPEED7 Studio weiter verwenden werden. Nur der Re-Export ist nicht möglich.

 

Wie stark hängt die Entscheidung zwischen VIPA und Siemens an den unterstützten Bussystemen?

Das ist eine spannende Frage. Aus unserer Sicht werden sich in Europa hauptsächlich PROFINET und EtherCAT als Ethernet basierende Bussysteme durchsetzen. Die Siemens-Gemeinde wird bei PROFINET bleiben, aber wir haben relativ viele Kunden, die mit EtherCAT liebäugeln, jedoch in der Step7 Programmierumgebung bleiben wollen. Das unterstützen wir mit unserer Hardware und Speed7 StudioSPEED7 Studio.  Es ist immer unsere Philosophie gewesen: Wir wollen das Spektrum der Automatisierung etwas weiter öffnen, den Kunden nicht auf irgendwelche Feldbusse festlegen, sondern die für ihn beste Lösung abbilden.

Sie hatten ja den Mutterkonzern schon angesprochen – gibt es denn auch Veränderungen durch die Zusammenarbeit mit YASKAWA?

Technologisch gesehen, haben wir gemeinsam, auf Basis des existierenden Systems SLIO IMC7 entwickelt: die erste VIPA SPS mit integriertem Motion-Controller, deren Vertriebsfreigabe bis Ende des Jahres geplant ist. Daneben gibt es eine intensive Zusammenarbeit mit unserer Tochterfirma Profichip für die Entwicklung  zukünftiger  ASICs (Application-Specific Integrated Circuits) für die Antriebstechnik, SPS-Controllern bis hin zu Kommunikationsprozessoren. So werden wir innerhalb des Konzerns sukzessive auch immer mehr zum Technologie-Standort und dadurch werden zukünftig viele Entwicklungen  unter Berücksichtigung europäischer und auch amerikanischer Belange realisiert.

Und Sie vertreiben jetzt die gemeinsame Produktpalette …

Ja, zum einen haben wir Zugriff auf das gesamte Portfolio und gemeinsam mit unseren Kollegen aus der Robotik können wir ganz klare  Vorteile im Wettbewerbsvergleich bieten und sind gleichzeitig weltweit verfügbar. Zum anderen können wir uns zusätzlich zum existierenden weltweiten VIPA Netzwerk auch auf das globale Servicenetzwerk von YASKAWA stützen, was im Vertrieb ein gewichtiges Argument ist. Nicht zuletzt macht es bei Ausschreibungen und Kundenfreigaben einen enormen Unterschied., ob man als integraler Bestandteil eines weltweit tätigen Konzerns mit über 14 000 Mitarbeitern wahrgenommen wird, denn plötzlich öffnen sich uns Türen bei größeren Maschinen- und Anlagenbauern sowie Endkunden, die bislang stets verschlossen waren.

Text: Harry Jacob, A&D