Die Patchwork-Branche

Deutschland ist innovativer als sein Ruf - zu diesem Fazit kommt der VDE in seiner jüngsten Umfrage unter 1250 Mitgliedsfirmen. In punkto Fortschritt würden gerade die Bereiche Elektrotechnik, Automation sowie die Energie- und Medizintechnik über die höchste Innovationskraft weltweit verfügen.

Und dennoch so der schale Beigeschmack der Umfrage: Deutschland könne seine Führungsposition insbesondere in den Bereichen Produktions- und Automalionstechnik bis zum Ende des Jahrzehnts lediglich "mit Einbußen" verteidigen.

Vor allem die Innovationskraft Asiens (ohne Japan) bei der Automation ginge zu Lasten Deutschlands und Europas. Vor genau einem Jahr haben wir an dieser Stelle schon über die Innovationshürden in Deutschland berichtet und angeprangert, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen und die Bürokratie die Innovationsbremsen schlechthin sind.

Mussten aber auch bemängeln. dass in den Unternehmen Innovationen meist als Zufallsereignisse entstehen, weil strukturierte Innovationsprozesse ebenso fehlen wie eine fachübergreifende Zusammenarbeit auch unter Konkurrenten. 

Ein Missstand, der sich aufzulösen beginnt, wie zwei Beispiele belegen:

In der Rubrik ..Nachgehakt" (Seile 94) berichtet Dieter Schaudel von dem erfolgreichen Abschluss der Arbeiten eines Namur/GMA-Arbeitskreises: Innerhalb eines Jahres generierten Spezialisten aus den Reihen der Prozesstechnik-Hersteller und -Anwender eine Roadmap für Prozess-Sensoren bis zum Jahre 2015. "Es war überraschend, zu welchen präzisen und plausiblen Ergebnissen wir gekommen sind." gerät der Endress+Hauser-Vorstand für Technologie ins Schwärmen. Jetzt", so Schaudel, "weiß jeder in der Branche, wohin die Reise gehen muss. und kann sich darauf einstellen."

Auch das Messegeschehen in Hannover zeigte, dass Kooperation, ja sogar Kollaboration und strukturierter Innovationsprozess in der Automation keine Fremdwörter mehr sind, sondern intensiv gelebt werden (siehe Seile 20ff.):

Danfoss kooperiert mit Pilz: KW-Soft-ware und B&R arbeiten zusammen: 3S schart Beckhoff, Bosch Rexroth und Wago zu einer Weiterentwicklung um sich: M&M vertreibt jetzt eine zusammen mit Bosch Rexroth entwickelte Software - ein Feuerwerk an Meldungen, wie es vor ein paar Jahren noch undenkbar gewesen wäre.

Die Automatisierungstechnik hat sich tatsächlich verändert und Struktur bekommen: Die Standards - sowohl hinsichtlich Kommunikation als auch Programmierung - und nicht zuletzt Microsoft-basierte Werkzeuge wie das Automation Framework (siehe Titelgeschichte. Seite 44ff.) legten den Grundstein für die vielfältigen und innovationsfördernden Kooperationen. Kooperationen, die dazu führen werden, dass sich Automatisierungslösungen zukünftig Patchwork-gleich aus vielen verschiedenen Teillösungen unterschiedlichster Hersteller zusammensetzen werden, je nach Anforderung.

Nein, um die Innovationskraft der deutschen Automation ist es nicht schlecht bestellt und die internationale Führungsposition müsste sich auch ohne "Einbußen" verteidigen, wenn nicht gar ausbauen lassen. Sicher, der Asien-Markt hat seine eigenen Gesetze und ist zudem von billigen Plagiaten geprägt, die sämtliche Kalkulationen über den Haufen werfen.

Aber muss etwa Weltmarktführer Siemens wirklich Steuerungen aus Fernost mehr fürchten als intelligente Chip-Lösungen aus seinem Heimatland, wie sie jetzt VIPA anbietet, und mit denen jeder x-beliebige Hersteller von Antrieben, Displays oder Netzwerkknoten, eine S7-konforme Lösung inklusive MPI-Schnittstelle in seine Produkte integrieren kann?